„Auf jeden Fall“ – mit Telemedizin in die Zukunft

27.10.2020Allgemein, COVID-19

Experten-Interview von Sabine Mertsch (Managerin Market Access, ResMed Germany und Mitglied im Vorstand des Fachverbandes Medizintechnik von Spectaris) mit Prof. Dr. med. Schöbel (Leiter des Lehrstuhls für Schlaf- und Telemedizin in Essen) zu den Vorteilen der Telemedizin in der COVID-19-Pandemie.

Videosprechstunden mit dem Arzt? Persönliche Beratung bequem und flexibel von zuhause? Bisher waren besonders die Deutschen eher skeptisch, was eine digitale Bereitstellung medizinischer Dienstleistungen, kurz Telemedizin, betrifft. Das lag hauptsächlich an der Sorge, ob persönliche Daten auch wirklich sicher sind. Doch nicht nur das 2015 erlassene E-Health-Gesetz änderte die Meinung der Patienten – auch Corona beeinflusst die Patienteneinstellung zum Thema Telemedizin stark. Im Interview mit Prof. Dr. med. Christoph Schöbel zum Thema Telemedizin und digitale Gesundheitsversorgung geht er auf die spezielle Situation in der COVID-19-Pandemie ein und erklärt, warum diese neue Art der Versorgung sowohl für Patienten als auch für Ärzte eine Chance bedeuten kann.

Prof. Dr. med. Schöbel

Sabine Mertsch: Wir alle kennen die Aufforderung, positiv zu denken. Und sicherlich ist dies ein guter Ansatz für die Psyche, um mit der aktuell angespannten Situation umzugehen. Prof. Dr. Schöbel, Sie leiten seit 2019 den Lehrstuhl für Schlaf- und Telemedizin an der Universitätsmedizin Essen, was ist Ihrer Meinung nach wichtig, um durch diese schwierigen Zeiten zu kommen?

Prof. Dr. med. Christoph Schöbel: Das Positive auch in kleinen Momenten, in Gesten oder der Natur um sich herum zu erkennen, ist sicherlich ein guter Ansatz, den vielen negativen Schlagzeilen mit einem anderen Blickwinkel zu begegnen und so die Stimmung zu heben. Die Gefahr einer Infektion durch COVID-19 wird dadurch natürlich nicht geringer. Hier haben wir ganz andere Mittel, viele Menschen aus der Gefahrenzone zu bringen. Mit den Möglichkeiten, die die Telemedizin heute schon bereithält, sind wir in der Lage, zu einer digitalen Patientenversorgung beizutragen. Die räumliche Distanz ist dabei das entscheidende Merkmal, um das Virus nicht weiter zu verbreiten.

Sabine Mertsch: Welche Elemente der Telemedizin oder der digitalen Gesundheit haben Sie während der Pandemie als Arzt genutzt?

Prof. Dr. med. Christoph Schöbel: Viele Patienten habe ich über Videosprechstunden beraten. Das Feedback dazu war sehr positiv. Außerdem habe ich die Telemedizin bei Patienten mit Schlafapnoe eingesetzt, die in der Nacht ein Überdrucktherapiegerät mit Maske nutzen. Diese Geräte senden nach jeder Nacht Daten z.B. über den Effekt oder die Dichtigkeit der Maske. Diese telemedizinisch übertragenen Daten konnten wir so für Verlaufskontrollen verwenden, ohne dass der Patient zu uns kommen musste. Wissenschaftlich untersuchen wir auch, inwieweit E-Devices wie E-Spirometer mit Anbindung an eine Telemedizinplattform für Verlaufskontrollen von Patienten mit Asthma oder COPD genutzt werden können. Neue Devices bieten auch die Möglichkeit zu kontrollieren, wie regelmäßig die Inhalationstherapie genutzt wird. Und natürlich können auch Sensoren in Smartwatches medizinisch genutzt werden, wenn sie als Medizinprodukt zertifiziert sind. Das betrifft aktuell z.B. EKGs, aber auch Sauerstoffsättigungswerte.

Sabine Mertsch: Was hat Sie anfangs von der Telemedizin oder dem Konzept der digitalen Gesundheit abgehalten?

Prof. Dr. med. Christoph Schöbel: Ehrlicherweise muss ich sagen, dass mich anfangs die rechtlichen Rahmenbedingungen sehr beschäftigt haben. Bei den Anwendungen, die für mich relevant sind, ist jedoch die Datensicherheit gemäß der Datenschutzgrundverordnung gewahrt. Darüber hinaus waren für mich auch Abrechnungsfragen relevant. Während der Pandemie sind z.B. Videosprechstunden von zertifizierten Anbietern durch niedergelassene Ärzte unbegrenzt durchführbar und abrechenbar.  

Sabine Mertsch: Was ist in Ihren Augen besonders vorteilhaft im Rahmen der Telemedizin/digitalen Gesundheit?  

Prof. Dr. med. Christoph Schöbel: Die Telemedizin gibt es ja nicht erst, seit Corona ein Thema ist. Aber im Rahmen der COVID-19-Pandemie werden die Vorteile dieser Behandlungsmethode besonders greifbar. Beispielsweise ermöglicht es einen engeren Arzt-Patienten-Kontakt, ohne dabei physisch in Kontakt zu treten. Der Patient fühlt sich so besser beraten, da ein regelmäßigerer Austausch, beispielsweise in Form von Kontrollen möglich ist. Dabei sollen die digitalen Möglichkeiten natürlich nicht den Arzt-Patienten-Kontakt ersetzen, sondern unterstützend eingesetzt werden.

Sabine Mertsch: Sehen Sie das Gesundheitswesen heute anders als noch vor einem Jahr? Und falls ja, was hat sich verändert?

Prof. Dr. med. Christoph Schöbel: Ja, ich sehe auf jeden Fall eine große Veränderung im positiven Sinne. Denn besser informierte Patienten fordern nun mehr denn je eine individuellere Behandlung ein. Außerdem können digitale Tools bei der Datenerhebung helfen, um über algorithmenbasierte Datenauswertungen eine wirklich patientenzentrierte Medizin zu ermöglichen. Die Voraussetzungen sind gelegt, müssen aber natürlich weiterentwickelt werden.

Sabine Mertsch: Also würden Sie sagen, dass Sie die Telemedizin/digitale Gesundheitsversorgung auch in Zukunft nutzen werden?

Prof. Dr. med. Christoph Schöbel: Ja, auf alle Fälle.

Wir danken Prof. Dr. med. Schöbel sehr für die Zeit, die er sich für die Beantwortung der Fragen genommen hat. Hier folgen noch ein paar Angaben zu seiner Person:

Nach seinem Studium schloss er seine Facharztausbildung für Innere Medizin und für Kardiologie an der Charité – Universitätsmedizin Berlin ab. Nach seiner Approbation erhielt Prof. Dr. Schöbel die Gelegenheit, an nationalen und internationalen Studien im Bereich Schlafmedizin, Kardiologie und Telemedizin mitzuwirken. 2019 übernahm er die deutschlandweit erste Universitätsprofessur für Schlafmedizin mit Schwerpunkt Telemedizin an der Universität Duisburg-Essen. Der Lehrstuhl für Schlaf- und Telemedizin forscht aktiv im Bereich Algorithmik, Entwicklung und Einsatz telemedizinischer Verfahren sowie in der Entwicklung neuer Patientenpfade – zukunftsweisende Forschungsbereiche, die eine sinnvolle Digitalisierung des Gesundheitswesens für ein verbessertes Patientenwohl nachhaltig voranbringen.